Der neue Europäische Sozialfonds ESF+ für Deutschland 2021-2027 (Teil 1)

Juni 4, 2021


Der EU-Haushalt 2021-2027 ist bis Endes des letzten Jahres hart verhandelt worden und hat oft die Nachrichten dominiert – doch was bedeuten die Zahlen eigentlich genau für soziale Projekte, die durch die Mittel aus verschiedenen Förderfonds finanziert werden? Haben sich die Befürchtungen zu großen Einbußen im Budget bestätigt oder gab es keine großen Änderungen? Wie liegen in Zukunft die thematischen Schwerpunkte der Förderprogramme und wie ist die Antragsstellung geregelt?

Im Teil1 unserer zweiteiligen Artikelserie werfen wir einen detaillierten Blick auf den neuen Europäischen Sozialfonds ESF+ für Deutschland 2021-2027 aus Sicht der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege. Nach einem Überblick über die politischen Veränderungen und neuen Programmschwerpunkte stehen dabei die einzelnen Förderprogramme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) im Mittelpunkt, die besonders für gemeinnützige Organisationen relevant sind.


Der EU-Haushalt 2021-2027 und das Budget des ESF+

Die Kohäsionspolitik, die den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in der Europäischen Union fördern soll, wird durch ungefähr ein Drittel des EU-Haushaltes gefördert. In der Förderperiode 2021-2027 stehen hier 426,7 Mrd. € zur Verfügung. Mit diesen Mitteln sollen neue Arbeitsplätze geschaffen, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gesteigert, und das Wirtschaftswachstum sowie die nachhaltige Entwicklung und die Lebensqualität der EU-Bürger/innen befördert werden.

In Deutschland sind hierfür vor allem drei Fonds relevant:

  • Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE)
  • Der Europäische Sozialfonds (ESF)
  • Der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER)

Der Europäische Sozialfonds (ESF) wird auch künftig als „ESF Plus“ wichtigstes Finanzierungs- und damit auch Förderinstrument der EU für Investitionen in Menschen sein. Sein Schwerpunkt liegt auf der Verbesserung der Beschäftigungs- und Bildungschancen. Er soll auch von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohte Menschen unterstützen. Hiermit ist der Europäischer Sozialfonds ESF+ 2021-2027 für die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege (FW) relevant. Er wird in Deutschland in einem Bundes- und 16 Bundesländerprogrammen umgesetzt.


Elf Prozent geringeres ESF+ Budget

Das europaweite Budget für den ESF+ für die aktuellen Planungen ist mit 99,261 Mrd. € elf Prozent geringer als in der vorhergehenden Förderperiode. Gleichzeitig haben sich auch die Kofinanzierungssätze geändert. Statt wie vorher 50% in den stark entwickelten Regionen und 80% in den Entwicklungsregionen gelten jetzt jeweils 40 % und 60%. Allerdings sind höhere EU-Kofinanzierungssätze im ESF+ für die Förderung der am stärksten benachteiligten Personen (EHAP) (90 %) und Soziale Innovation (95 %) möglich.

Zusätzlich zum ESF+ für die kommende Förderperiode gibt es auch noch die Angebote aus der vergangenen Förderperiode im Rahmen von REACT-EU. Dieses Programm wurde aufgesetzt, um die Auswirkungen der Corona-Pandemie in Deutschland abzufedern und ist auch über die Homepage des ESF zu finden.


Thematische Konzentration im ESF+ auf soziale Inklusion

Thematisch wird im Europäischen Sozialfonds ESF+ 2021-2027 der Mensch in den Vordergrund gestellt. Es sollen in der kommenden Förderperiode vor allem die folgenden Themenbereiche bearbeitet werden:

  • die Verbesserung des Zugangs zu Beschäftigung, allgemeine und berufliche Bildung
  • aktive Inklusion
  • die sozioökonomische Integration von Drittstaatsangehörigen
  • der gleichberechtigte Zugang zu hochwertigen Sozialschutzsystemen
  • die soziale Integration von Benachteiligten und die am stärksten benachteiligten Personen

© EU-Kommission

Im Fokus steht vor allem die soziale Inklusion, die jetzt mit 25 % der bereitgestellten Mittel gefördert werden soll.


Budget des ESF+ in Deutschland

Für den ESF+ in Deutschland stehen in der kommenden Förderperiode (mit Inflationsausgleich) 6,5 Mrd. € zur Verfügung. Davon werden 2,28 Mrd. € durch die Programme des Bundes und 4,22 Mrd. € durch die Programme der Bundesländer vergeben. Erste Entwürfe der Operationellen Programme (OP) wurden bereits erstellt und sind aktuell in der Abstimmung. Im Juni/Juli 2021 werden die entsprechenden Verordnungen voraussichtlich im EU-Amtsblatt veröffentlicht, danach können die Ausschreibungen beginnen. Ausschreibungen von Bund und Ländern werden wahrscheinlich in einem ähnlichen Zeitrahmen veröffentlicht.


Das ESF+-Bundes-OP und dessen strategische Ausrichtung und Programme

Aktuell geht der Bund davon aus, dass im Oktober das Bundes-OP genehmigt wird. Die 2,28 Mrd. Euro, die im ESF+ des Bundes zur Verfügung stehen, werden dann auf die stark entwickelten Regionen (Westdeutschland) und die Übergangsregionen (Ostdeutschland, Lüneburg, Trier) aufgeteilt. Erstere erhalten 1,52 Mrd. €, zweitere 760 Mio. € aufgrund der Bevölkerungsverteilung.

Nach aktuellem Stand wird die Verteilung der Mittel auf die verschiedenen Ministerien folgendermaßen aussehen:

Für die Wohlfahrtsverbände am relevantesten für eine Zusammenarbeit sind das BMAS und das BMFSFJ.

Nach derzeitigem Stand wird die ESFplus-Bundesförderung 29 Förderprogramme umfassen. Hiervon werden im BMAS 12 verortet sein, im BMBF fünf, im BMFSFJ vier, im BMWi sechs, im BMU eines und im BMI ebenfalls eines. Die inhaltlichen Schwerpunkte dieser Programme sind die folgenden:

  • Soziale Inklusion / Armutsbekämpfung
  • Fachkräftesicherung
  • Allgemeine und berufliche Bildung einschließlich Lernmobilität sowie lebenslanges Lernen
  • Arbeitswelt im Wandel (Arbeit 4.0)


ESF plus-Programme des BMAS für Einrichtungen der gemeinnützigen Sozialwirtschaft

Das BMAS wir von allen Bundesministerien das größte ESFplus Budget zur Verfügung stellen. Im Folgenden stellen wir einige der Programme, die für die gemeinnützige Sozialwirtschaft von Bedeutung sind, näher vor. Eine Übersicht über die Programme finden Sie in Zukunft auf der Homepage des ESF+.


Partnerschaftsprogramm BAGFW-BMAS – Arbeitstitel: ‚Sozialwirtschaft Digital‘

Dieses Programm wird als Nachfolgeprogramm für das Programm rückenwind+ – Für die Beschäftigten und Unternehmen der Sozialwirtschaft umgesetzt durch die BAGFW-Regiestelle und widmet sich vor allem der Digitalisierung im weitesten Rahmen. Für diese Förderlinie sind etwa 60 Mio. Euro vorgesehen, damit liegt das Budget höher, als in der Förderperiode 2014-2020. Im Mittelpunkt stehen wieder innovative Projekte zur Personal- und Organisationsentwicklung.

Handlungsfelder von „Sozialwirtschaft digital“ sind:

  • Entwicklung und Erprobung moderner Arbeitsmodelle
  • Aufbau und Erprobung innovativer (analoger und digitaler) Weiterbildungs- und Qualifizierungsformate zur Sicherstellung der Beschäftigungsfähigkeit von Mitarbeitenden sowie zur Stärkung der Inklusionsfähigkeit von Unternehmen in der Sozialwirtschaft
  • Konzeption, Erprobung und Evaluierung von Maßnahmen zur Unterstützung von Beschäftigten und Unternehmen beim Umgang mit neuen Arbeitsplatztechnologien in sozialen Berufsfeldern
  • Entwicklung und Erprobung von Konzepten zur Personalgewinnung und -bindung in sozialen Arbeitsfeldern auch mit Hilfe moderner Angebote und Kommunikationsstrategien
  • Begleitung und Qualifizierung von Beschäftigten und Weiterentwicklung der Unternehmenskultur im Hinblick auf ‚Digital Readiness ‘ / ‚Future Readiness ‘ in gemeinnützigen Einrichtungen, Diensten und Unternehmen der Sozialwirtschaft

Die Kofinanzierung beträgt 50% und da es sich hier um eine Beihilfe handelt, können keine anderen öffentlichen Mittel hierfür genutzt werden. Möglichkeiten sind eine Kofinanzierung durch Freistellung von Mitarbeiter/innen, Freistellungskosten durch Fortbildungen, private Drittmittel oder freies Geld, das in der Organisation zur Verfügung steht.

Aktuell sind mehrere Ausschreibungsrunden geplant. Zur Vorbereitung empfehlen wir, sich mit den Ausschreibungen der Vorgängerprogramme und mit den dort geförderten Ansätzen zu beschäftigen. Neue Vorschläge müssen einen innovativen Ansatz haben.


Akti(F)+ – Aktiv für Familien und ihre Kinder

Dieses Programm setzt direkt auf das Vorgängerprogramm der Förderperiode 2014-2020 auf und richtet sich an Familien und ihre Kinder (unter 18 Jahren), die von sozialer Ausgrenzung und Armut bedroht sind. Hier werden ergänzende Unterstützungsangebote im Integrationsprozess für arbeitslose Eltern gefördert, die zusätzlich zu den Leistungen nach dem SGB III und SGB II erbracht werden.

Der erste Aufruf wird wohl im Oktober 2022 stattfinden, Projekte sollen dann im April 2023 starten.


WIR – Netzwerke integrieren Flüchtlinge in den regionalen Arbeitsmarkt

Als Nachfolgeprogramm von IvAF – Integration von Asylbewerberinnen, Asylbewerbern und Flüchtlingen nimmt das neue Programm WIR – Netzwerke integrieren Flüchtlinge in den regionalen Arbeitsmarkt die Zielgruppe Geflüchtete – unabhängig vom Aufenthaltsstatus – sowie ihre Familien (in Form eines optionalen ganzheitlichen Ansatzes) mit ihren spezifischen Problemlagen in den Blick.

Mit dem Ziel der nachhaltigen Arbeitsmarktintegration sollen Netzwerke heterogener Partner (Kommunen,
Arbeitsverwaltung, Organisationen der Flüchtlingshilfe, Bildungsträger, Wohlfahrtsverbände, Betriebe, Kammern etc.) initiiert und unterstützt werden. Dabei wird eine lebenslagen orientierte Beratung (angelehnt an ein Case-Management) sowie eine bedarfsgerechte langfristige Begleitung auch nach Aufnahme eines Ausbildungs bzw.
Beschäftigungsverhältnisses angestrebt.

Durch ein aufsuchendes Onlineangebot als Ergänzung zu den aufgeführten Maßnahmen sollen insbesondere die Teilnehmenden unterstützt bzw. effektiv vermittelt werden, die von einer Förderung vor Ort bisher nicht erreicht werden können.

Die Richtlinie hierzu soll schon im Dezember 2021 veröffentlicht werden, Projekte starten dann im Juni 2022. Auch diese Förderschiene unterliegt nicht dem Beihilferecht.


MY TURN – Frauen mit Migrationserfahrung starten durch

Mit diesem Programm sollen Neuzugewanderte, formal geringqualifizierte Migrantinnen (d. h. (wieder) Ungelernte) mit besonderem Unterstützungsbedarf und abstraktem Arbeitsmarktzugang, die bereits an einem Integrationskurs, Berufssprachkurs oder sonstigen Deutschsprachkurs teilgenommen haben angesprochen werden.

Ziel ist es, dass mehr Migrantinnen als bislang an Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen und im Anschluss eine dauerhafte und nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt gelingt. Der Programmstart soll im Juni 2022 erfolgen.


Integration des Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (EHAP) in den ESF+

Der Europäische Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen EHAP der Förderperiode 2014-2020 wird jetzt als EhAP Plus innerhalb des ESF+ weitergeführt. Das Kürzel steht jetzt für Eingliederung hilft gegen Ausgrenzung der am stärksten benachteiligten Personen. Hier stehen in den nächsten 7 Jahren rund 198 Mio. Euro zur Verfügung. Durch die Träger müssen 5% Eigenmittel eingebracht werden.

Die Zielgruppen des Programms sind weiterhin neuzugewanderte Unionsbürger/innen und ihre Kinder bis 18 Jahre, außerdem Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Personen. Neu ist unter den Prioritäten, dass jetzt auch eine Arbeitsmarktberatung möglich ist. Projekte müssen im Kooperationsverbund mit einer Kommune durchgeführt werden. Die Laufzeit der Projekte sollte vier Jahre betragen, die Gesamtprojektkosten dürfen maximal zwei Millionen Euro betragen.

Zudem ist ein bundesweites und niedrigschwellig ausgerichtetes Modellprojekt zur Unterstützung bei der Digitalisierung der Angebote der geförderten Projekte für die Zielgruppen, insbesondere in den sozialen Medien (Facebook, Instagram, Twitter etc.), die bisher von einer Förderung vor Ort nicht erreicht werden konnten.

Der erste Aufruf für Anträge wird wohl im vierten Quartal in 2021 stattfinden und die Projekte sollen zum 01.06.2022 beginnen.


Win-Win- Passgenaue Integration insbesondere von Migranten in klein- und mittelständische (Migranten/Sozial-) Unternehmen

Dieses Programm richtet sich an junge Männer unter 30 Jahren mit besonderen Schwierigkeiten beim Zugang zu Bildung, Ausbildung und Beschäftigung – insbesondere mit Migrationshintergrund, darunter auch neuzugewanderte Unionsbürger und Drittstaatsangehörige sowie Nichterwerbstätige, die keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II haben oder diese nicht kennen.

Das Angebot soll den EhAP+ komplementieren, da ja in diesem Fonds keine direkten Arbeitsmarktmaßnahmen gefördert werden dürfen. Daher wird die Richtlinie auch erst im vierten Quartal 2022 veröffentlicht, Projekte sollen im Juni 2023 starten.


Damit schließen wir den ersten Teil zum ESFplus 2021 bis 2027 ab. Im zweiten Teil werden wir uns die geplanten Programme des BMFSFJ genauer ansehen und auch auf die Veränderungen beim Antragsverfahren eingehen.


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Wir danken Andreas Bartels für den Einblick in die aktuellen Verhandlungen zum ESFplus.

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Torsten Schmotz

Über den Autor/die Autorin

Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens Förderlotse Torsten Schmotz, Seniorberater, Hochschuldozent und Fachautor, seit 2006 ist das Fördermittel-Fundraising sein beruflicher Schwerpunkt.



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